Anfahrt

Anfahrt 1024 674 Oliver Fecht

Eine Bierdose übernimmt im Zusammenspiel mit den Naturgewalten des Meeres das Unterhaltungsprogramm auf Deck. Sie rollt mal nach recht, mal nach links, mal im Kreis. Stillstand! Nach drei Tagen ist die Schmerzgrenze erreicht. Alles Interesse ist erloschen. Die graublaue Aquawelt auf der „Norröna“ Richtung Island kann dem Auge nichts mehr bieten. Die leeren Stunden dehnen sich zur Ewigkeit. Die Untätigkeit wird zur Qual. Stunde um Stunde haben wir das Meer beobachtet, den Horizont im Blick behalten, sind Kilometer auf Deck unterwegs gewesen, saßen im Holzstuhl am Bug und Heck, haben den Reiseführer durchgewälzt, die Rätsel der Bedienung der Aktionkamera gelöst und die Gerüche in der Holzklassenkoje mit weiteren 10 Reisenden auf 8 Quadratmetern ertragen. Hier dann doch gleich der erste Ratschlag: Gönnt euch mindestens eine Viererkabine, denn Geiz ist nicht geil!

Lichtblicke gibt es nur in der Dunkelheit, wenn sich die Abenteurer an der Bar treffen. Wir quatschen über dies und das, über die Planungen und Vorhaben. Und plötzlich lodert das Feuer in unseren Herzen wieder auf. Entzündet durch die Gedanken an ein Land am Rande des nördlichen Polarkreises, an eine geheimnisvolle Welt aus Fels und Eis, an die Abenteuer die uns dort erwarten werden. Es wird lebhaft an Bord. Die Fähre Norröna der Smyril Line gleitet majestätisch durch den 17 km langen Fjord bis nach Seydisfördur und so nebenbei ist dies wohl  die schönste Art, in Island anzukommen. Aber dafür haben wir alle keinen Blick. Die Ungeduld, welche die Langeweile endlich besiegt ist zum Zerreißen spürbar. Die Motoren brüllen, die Kupplungen stampfen, das Gummi krallt sich in den Schiffsboden. Mit dem Öffnen der Schiffsluke und dem lösen der Bremsen schoss jedem der Husky-, KTM-, Land Rover-, und GS-Cowboys nur ein Gedanke durch den Kopf: Endlich Dreck unter die Stollen zu bekommen!!!

Die ersten Eindrücke auf Island sind feucht, neblig, taub und dumpf! Aufgereiht, wie an einer Perlenschnur schleichen die motorisierten Abenteurer auf der 93 von Seydisfördur über den 660m hohen Pass nach Egilsstadir. Dort wird getankt, Geld geholt und die Vorräte auf gefüllt. Der Trip in die Ostfjorde duldet keinen Aufschub und so folgen wir der Straße 917. Von Ketilsstadir führt die größtenteils ungeteerte Straße durch spektakuläre Berglandschaften über den 655m hohen Pass „Hellisheidi“ hinunter zur Ostküste. Die Haarnadelkurven schrauben uns stetig in die Höhe und die kräftiger werdenden Naturgewalten setzen uns zu. Sicht? Wäre gut – gibt’s aber nicht, dafür eine schmale Straße umgeben von Abhängen und Schneefeldern. Plötzlich reißt der Himmel auf und unsere Blicke stürzen sich in das Flussdelta des „Heradssandur“. Die Ausblicke auf beiden Seiten werden sich dem, der diese Fahrt unternimmt, ins Gedächtnis brennen. Am Ende des Tages hat uns der Kick endlich da zu sein, schon bis in die einsame Wildnis des äußersten Nordosten gebracht. Im Hostel in Kópasker kommen wir zur Ruhe.

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