Hochland

Hochland 1024 685 Oliver Fecht

Mitte August geht’s weiter in Richtung Hochland und nach einer Stunde ist ein Aufwärmstopp zum Tanken und Einkaufen im Supermarkt nötig. Den Namen „Supermarkt“ verdienen diese Märkte absolut zu recht. Verfügen sie doch über ein allumfassendes Sortiment von jeweils einem Hersteller. Die Anordnung der Produkte ist als offener Widerstand gegen die modernen Märkte mit ihrem ausgeklügelten Strategien zu verstehen. Ehrlich, eigenwillig, angenehm chaotisch! So findet sich der Trockenfisch neben dem trocken Brot. Die eingestrickte Teekanne neben der Wolle, die Elektroartikel bei den Frischeprodukten und die Süßigkeitenwand direkt am Ein-bzw. Ausgang (das funktioniert dann doch überall gleich). Darüber hinaus sind diese Läden ein sozialer Treffpunkt. Hier kommen die Menschen aus den entlegensten Gebieten von Island, um einzukaufen, um zu essen und um sich aus zu tauschen. Ich bekomme wohlwollend den Kaffee in meine kalten Hände, bevor wir von Reykholt weiter in Richtung Hochland fahren.

Dort, wo Straße 518 das Ende erreicht, markiert ein hellgelbes Schild den Abzweig auf die F 578. Die holprige Piste führt nach 7km zur „Surtshellir“, einer dramatischen, 2km langen Lavaröhre. Sie sieht aus, als sei sie von einem riesigen Wurm ausgehöhlt worden. Auf der 518 zurück nehmen wir die 550er. Die tiefbraune, unbefestigte Straße bietet phantastische Ausblicke auf die Eiskappen des Langjökull und auf die Schneefelder des Eiriksjökull, Okjökull und des Porisjökull. Unser Nachtlager schlagen wir dann am Campingplatz in Gesyir auf. Hier staunen wir über das nächste Highlight: „Geysir“, ist DIE heiße Springquelle, der allen Verwandten weltweit ihren Namen verdanken. Zuerst etwas Geduld aufbringen, dann aber volles Rohr – alle 5 bis 10 Minuten schießt das Wasser in einer eindrucksvollen 15 bis 30m hohen Fontäne in die Luft, um dann in eine Art riesiges Abflussloch zu verschwinden.

Die Kjölur Route zieht uns mit ihrer einsamen, windigen Mondlandschaft in ihren Bann. Ausgehend vom Gullfoss führt die Strecke zunächst durch ausgedehnte Kies- und Schotterebenen. Wenn es die Straßen zulassen richteten sich meine Blicke auf die Gletscher, „Lenjökull“ und Hofsjökull. Eis und die Lavafelder bieten ein weiteres Kontrastspektakel. Die Landschaft entlang des Kjölur ändert sich zunehmend und der Sand gewinnt die Oberhand. Im trockenen Zustand ist alles in machbaren Bereich. Muskelkater – logischerweise inbegriffen! Ja und dann gibt es da ja noch einen Fluss, der durchquert werden will und als Belohnung gibt es irgendwo im nirgendwo „Loveballs“. Das sind isländische Quarkbällchen mit Pflaumen oder Rosinen. Gestärkt geht es danach in das Reich der Geächteten und Verbrecher. „Hveravellir“ ist ein Geothermalgebit mit blubbernden Fumarolen und heißen Quellen. Hier lebte Mitte des 18. Jahrhunderts Fjalla-Eyvindur, der wohl berühmteste Geächtete Islands. Insgesamt mehr als 20 Jahre verbrachte er mit seiner Frau in der Einöde des Hochlands, bis ihm seine Strafe erlassen wurde. Zweifellos musste jeder, der in den harten, kargen Wüsten überleben konnte, eine außergewöhnliche Person sein. Klar doch – Düsen WIR ja auch durchs Hochland! Abendessen in der Tanke und ein günstiges Hotel in Varmahlio runden den Tag heute ab. Morgen geht’s auf die Sprengisandur-Route. Furte über Furte und die Straßen? Die nächste Herausforderung!

Kaffee kann so ein wunderbarer Mutmacher für den Tag sein, denn heute steht ein Teil der Sprengisandur-Route an. Bei Isländern ruft die längste Nor-Süd Verbindung Bilder von Geächteten, Geistern und langen Schafstrieben über die karge Ödnis hervor. Zuvor gilt es wiedermal Benzin und Lebensmittel zu bunkern, denn außer Einsamkeit wird dort nichts zu finden sein. Die Route beginnt beim Godafoss in Nordwestisland als Straße 842 und geht dann in die F 26 über. Der Anfang geht über Teer und Schotter. Später zeigt die Straße ihren wahren Charakter. Die Serpentinen ins Hochland sind eng & steil. Die Radien werden immer enger, der Belag steiniger. An der Piste ändert sich zunächst nicht viel, mit dem einsetzenden Regen aber dafür um so mehr. Die wunderbare Ausblicke auf die Gletscher Vatnajökull, Tungnafellsjökull und Hofsjökull sowie von Westen her auf Askja und Herdubreid verschwinden. Das Visier ist leider mit dem Regen überfordert.  Ja und plötzlich bleibe ich im trostlosen Ödlandmoor stecken. Habe meine 800er im Schlamm geparkt, ohne Seitenständer oder Hauptständer. Sie ist einfach so im Schlamm versunken. Mit vereinten Kräften ziehen wir die Maschine aus dem Dreck.

Ja und dann ist da dieser sooo breite Fluss. Wo sind hier die Fähren, Brücken, Baumstämme, Dämme. Ach, auch über Schwimmflügel wäre ich wohl froh gewesen. Nein, Nein! So etwas findest du im Hochland nicht. Wer aber hier durchkommen will, muss in aller Regelmäßigkeit Gletscherflüsse durchqueren können. Das ist meine Tagesaufgabe, den Fluss zu bewältigen! Also Moppedstiefel runter, Wathose und Bergschuhe drüber und dann erst mal vorsichtig entlang des Flusskamms rüber waten, ob das überhaupt funktioniert. Danach tragen wir das Gepäck auf die andere Seite, welches auf keinen Fall nass werden darf. Koffer bleiben dran, so dass bei einem möglichen Sturz das Motorrad nicht völlig ins Wasser fällt. Im Team bewältigen wir den Fluss. Einer fährt und der andere sichert ab, falls man umfällt. Das Ganze geht an diesem Tag drei mal so und der Regen lässt leider noch nicht nach. Die Temperatur liegt um die 6 Grad. Davon spüren wir wenig. Gegen Abend lassen die Kräfte spürbar nach und schließlich müssen wir nochmal durch einen fetten Fluss. Die Mühen Lohnen sich aber und wir gewinnen sogar den Checkpot: Wir haben nicht nur genügend Platz in der Notfallhütte „Laugafell“ , sondern dürfen an diesem Abend auch unsere müden Muskel in einem Hot Pot entspannen. Und nur mal so neben bei haben wir herausgefunden, dass es nur wenige Dörfer gibt, die eine Dorfkneipe besitzen. Aber ein Schwimmbad gibt’s überall, sogar bei der Notfallhütte!

„Furtinator“ – ja auch diesem Namen können wir mit Stolz tragen! Aber der Reihe nach. Entspannt – nach guter, trockener Nacht – geht es auf die F910 Richtung Askja. Doch die Entspannung weicht schnell. Leider kann man den Zustand der Piste im Gesicht von Michael ablesen: Um so breiter sein Grinsen, um so furchtbarer die Strecke. Diese Piste ist ein wahres Enduro-Eldorado. Jeglicher Untergrund wird geboten. Meine Befürchtungen, solch eine Straße noch nie gefahren zu sein und jetzt fahren zu müssen, bestätigen sich. Es gibt kein Zurück, denn wir sind hier als Team unterwegs. Zudem reicht das Benzin gar nicht für die Umkehr. Der Anfang der 160 km langen Strecke, gehen über sehr steinigen Untergrund. Die Furten werden irgendwie immer größer, aber man regt sich darüber gar nicht mehr auf. Auch nicht über die Bedingungen: Regen und Graupelschauer gehen über uns hernieder und wir spulen unser Furten-Programm weiter ab. Alle paar Kilometer kommen wir an einen Gletscherfluss. Dort ziehen wir die Gummihosen an und waten hinein. Erst, wenn wir einigermaßen sicher sind, dass das Wasser an keiner Stelle der Furt höher als knietief reicht, nehmen wir diese in Angriff. Beim Durchqueren entleeren sich regelmäßig Adrenalinbomben in die Blutbahnen und sorgen für die nötige Aufmerksamkeit. Denn wenn die Maschine im Wasser liegt, gibt’s Probleme!

Die Landschaft und Strecke fasziniert und erschreckt uns gleichermaßen: Eine endlose Reihe von schwarzen, zusammengestürzten Kratern, umgeben von schwarzem Gestein und Aschehalden. Für Farbe sorgt in diesem erstarrten Meer nur das graue und grüne Moos, das auf einigen Kratern Fuß fassen konnten, nirgendwo ein Mensch. Gefangen von all diesen Eindrücken, vernachlässigen wir wieder mal das Essen und Trinken, als unsere Fahrt in der endlosen Weite unvermittelt endet. Wir stehen vor einer weiteren Furte und strecken die Waffen. Zu tief! Ganz nach dem Motto: „was gestern noch unpassierbar war, kann Morgen schon befahrbar sein.“ Warten auf Morgen! Jetzt das Zelt in „the middle of nowhere“ aufstellen und Ruhe finden. Leider bin ich so am Ende, dass ich beim Aufbau im Regen völlig überfordert bin. Ich verzweifel am Überstülpen des Außenzeltes. Dazu kommt, dass der Starkwind immer wieder die Heringe heraus reißt und schließlich das Zelt davon fliegt. So heißt es erst mal Zelt wieder einfangen und nochmals von vorn. Man muss geduldig sein! Zelt steht. Ein Millimeter Zeltstoff schottet mich von der kalten, nassen Außenwelt ab. Das Gefühl im trockenen Schlafsack zu liegen, ist sensationell. Mehr brauche ich in diesem Moment nicht zum Leben. Die Einfachheit als ein wertvolles Geschenk entdecken!

Sonntagmorgen, den 17.07. Nee, da will ich nicht raus! Wirklich nicht! Wind, Regen, Schnee! Aber wir müssen die letzten 60 km auf der 910 bis zur „Drekihütte“ in Angriff nehmen. Irgendwann nutzt man die Regenpause und gewinnt den Kampf gegen die Kälte. Auch die erste Aufgabe des Tages war klar: die gestrige Furte überwinden. Gleiches Prozedere wie immer. Umziehen, waten, Gepäck rüber, erstes Mopped, zweites Mopped, Gepäck wieder dran, umziehen und losbrausen. 200m weiter: Misst! Wieder eine Furte!!!! Also alles wieder von vorne. Für schlechte Laune ist da keine Zeit denn sie führt auch nicht zur Lösung des Problems. Also nehmen wir es recht gelassen. Nach der zweiten Furte hat man dann auch schon das Gefühl, wirklich etwas geleistet zu haben.

Der Tag bringt alles mit, was ihn zu einem einzigartigen Tag macht! Klar mein „Akku“ ist weiterhin leer, aber als sich der fallende Schnee auf die Krater und in die Fahrspur legt, schießt wieder genügend Adrenalin durch die Blutbahnen um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Schon 30 Zentimeter Schnee verschluckt die Piste, welche nur noch an den kleinen gelben Holzlatten am Pistenrand zu erkennen ist. So kämpfen wir uns durch die schneebedeckten Lavafelder mit ihrem sandigen, kurvigen, bergigen Bereichen. Als wir den Wintereinbruch hinter uns gelassen haben und kurz vor der Dreki-Hütte sind, kommt die letzte Herausforderung für diesen Tag. Das Hinterrad ist bis zur Radnabe im Sand versunken. Und das nach 3 km Laufrad fahren. Ich brauch eine Pause! Mit der Bemerkung: „Ich verstehe jetzt grad nicht dein Problem!“ und dem Tipp die Piste zu verlassen bringt der Endurofahrer Michael den Tourenfahrer auf die Palme! Mit der entsprechenden Wut im Bauch und der völligen Gleichgültigkeit der Konsequenzen geht es neben die Piste und lass es fliegen. Nach 10 Minuten fahren mit dem Messer zwischen den Zähnen, habe ich es geschafft. Eine unglaublich anstrengende Strecke mit vielen Höhen und einigen Tiefen! Als wir dann an der Dreki-Hütte ankommen, wird die Piste gesperrt. Der brodelnde Vulkan „Bardarbunga“, durch dessen Gebiet wir gefahren sind, treibt sein Unwesen und bringt die Erde zum Zittern. Wie merken auf den Moppeds nichts von den Erdbeben, was mich aber auch überhaupt nicht wundert. Und warnen hätte uns die letzten drei Tage auch keiner können. Schließlich treiben sich in diesem Gebiet ja nur Geächtete und Verbrecher herum. Aber auch die, haben sich nicht gezeigt. Rückblickend kann ich wohl sagen, dass Island sich nicht aufdrängt. Island will entdeckt werden und dafür muss man sich mitunter aufreiben. Denn das Aufreibende ist der Eintrittspreis in eine Welt, in der man erst etwas hergeben muss, um etwas zu bekommen.

Nicht nur wir haben auf der 910 mehr Energie gebraucht als gedacht, auch unsere Motorräder konsumierten wesentlich mehr Benzin. So wären wir am Askja gestrandet, wenn nicht der nette Hausmeister noch 25 Liter altes Benzin vom letzten Winter im Schuppen gehabt hätte. Damit ist das erste Problem überraschend einfach gelöst. Es rumpelt weiter. Das glühende Herz des Bardarbunga Vulkan ist spürbar und treibt sein Unwesen. Die Ranger informieren alle Anwesenden über eine mögliche Evakuierung und so beschließen wir, das Gebiet um den Askja wieder zu verlassen, so lange wir noch die Möglichkeit dazu haben. Wir müssen Handynummer und Streckenbeschreibung für den Notfall hinterlassen. Die Weiterfahrt geht über die Piste 905, welche wieder zum „Laufradfahren“ einlädt. Landschaftlich schließt sich der Kreis. Wir sind wieder durch unterschiedliche Auswurfmaterialien des Vulkans gefahren. Als der Sand überwunden scheint, kommt eine Menge Wellblech. Aber da muss man ja nur Gas geben. Gefurtet wurde heute wieder vier mal. Ich denke, mehr braucht es jetzt auch nicht mehr. Am Ende des Tages finden wir uns in den Ostfjorden wieder. In Reydarfjordur finden wir eine nette Unterkunft, inklusive Waschservice. Endlich bekommen unsere ganzen elektronischen Helfer wieder Saft. So blinkt es mal grün, mal rot, mal blau. Fast schon ein wenig Disco-Stimmung zum Einschlafen. Morgen geht’s dann weiter in den Südosten!

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